Bislang behandeln wir im Blog keine Gerichtsurteile, aber hier machen wir eine Ausnahme: Aus unserer Sicht ist das aktuelle BGH-Urteil zur Aufklärungs- und Prüfpflicht des Steuerberaters bei möglicher Insolvenz des Mandanten echter Sprengstoff.
Steuerberater: höhere Ansprüche und höhere Risiken
Paraphrasiert liest sich § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB beim IX. Zivilsenat des BGH aktuell so: „Besteht für eine Kapitalgesellschaft ein Insolvenzgrund, scheidet eine Bilanzierung nach Fortführungswerten aus, wenn innerhalb des Prognosezeitraums damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen noch vor dem Insolvenzantrag, im Eröffnungsverfahren oder alsbald nach Insolvenzeröffnung stillgelegt werden wird.“
In der Folge – und nach der Lektüre von insgesamt 28 Seiten – bedeutet das: Mit seinem Urteil vom 26. Januar 2017 (Az. IX ZR 285/14) erhöht der Bundesgerichtshof (BHG) die Anforderungen an Steuerberater und verschärft deren Haftungsrisiken. So heißt es im Leitsatz des IX. Zivilsenats:
Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater ist verpflichtet zu prüfen, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können. Hingegen ist er nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln (Ergänzung zu BGH, WM 2013, 802 und BGH, WM 2013, 1323).
[…]
Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist (teilweise Aufgabe von BGH, WM 2013,802).
Wollen Sie nur aus Höflichkeit haften?
Speziell auf den zweiten Teil des obigen Auszugs kommt es an; die mögliche Insolvenzreife muss dem Mandanten knallhart bewusst gemacht werden. Das heißt: Wer aus Gründen der Höflichkeit – oder weil man „ein netter Mensch“ sein möchte – auf das sprachliche Florett setzt, kann sich haftbar machen.
Entdecken Steuerberater beim Jahresabschluss für einen Mandanten einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag, müssen sie spätestens mit Rücksicht auf das BGH-Urteil sehr eindeutig ihren Hinweis- und Warnpflichten nachkommen. Machen sie das nicht, können sie bei einer späteren Insolvenz mit in die Haftung genommen werden.
Auch wenn die Überbringer schlechter Nachrichten beim Empfänger einen schlechten Ruf haben; auch wenn sich Menschen im Alltag üblicherweise gut mit allen verstehen und sie niemanden enttäuschen wollen… Steuerberater müssen schon aus Eigeninteresse schonungslose Direktheit im sprachlichen Repertoire haben.
Was machen Sie im Wiederholungsfall?
Aber was ist, wenn – vielleicht mit Rücksicht auf einen drohenden Mandatsverlust – vergleichsweise „harmlos“ gewarnt wurde? Wenn das mit einem Brief passiert ist, der zwar formell als Beleg für die eigene Handlung dienen kann, aber das direkte Gespräch und die sofortige Rückfrage vermeidet? Wenn sich dann ein Folgemandat für den nächsten Jahresabschluss ergibt?
Das ist einfach: Hat sich an der grundlegenden Situation der möglichen Insolvenzreife nichts geändert, müssen umgehend alle Alarmglocken klingeln. Der Mandant muss sehr, sehr eindeutig auf die Sachlage hingewiesen werden.
Je nach Gefühlslage des Mandanten kann bei einer so deutlichen Ansprache Mandatsverlust drohen oder tatsächlich entstehen. Aber die Haftungssumme aus einer möglichen Insolvenzverschleppung dürfte zukünftige Honorare mutmaßlich sehr deutlich übersteigen.
cSchadensersatzansprüche lassen sich erheblich mindern oder auch ganz ausschließen, wenn Steuerberater das Mitverschulden des Geschäftsführers an der Insolvenz nachweisen können.
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Morgen gehen wir in den konkreten Sachverhalt und kommentieren das Urteil.