Factoring bekannt, Verrechnungsstelle in Wikipedia noch offen

In der Gesamtheit aller 231 Sprachversionen gehört die Online-Enzyklopädie Wikipedia zu den „disruptiven Technologien“, d.h. zu solchen Angeboten, die einen Markt komplett verändert haben. Der Zugang zu Wissen ist deutlich einfacher geworden, die Zahl der Autoren ist deutlich höher als bei klassischen Enzyklopädien und insbesondere die schiere Masse an Artikeln beeindruckt.
Im angelsächsischen Sprachraum wurde die Hürde von 5 Mio. Artikeln bereits übersprungen und die rund 10 Mio. Sprecher der schwedischen Sprache haben die Marke von 3 Mio. Artikeln bereits vor sich. Etwas abgeschlagen in den Top 5 ist die deutsche Wikipedia. Die rund 100 Mio. Muttersprachler haben bislang „nur“ knapp über 1,9 Mio. Artikel verfasst.

Platz Sprache Hauptseite Artikelanzahl
1. Englisch en.wikipedia.org 5.069.565
2. Schwedisch sv.wikipedia.org 2.794.665
3. Cebuano ceb.wikipedia.org 1.953.656
4. Deutsch de.wikipedia.org 1.903.441
5. Niederländisch nl.wikipedia.org 1.854.084

Stand 1. Februar 2016, Quelle: Wikipedia:Sprachen

Acht Begriffe aus diesem Fundus sind auch im → Glossar auf riesragmbh.dvs.ag vertreten. Ein Grenzfall ist die → Zulässigkeit ohne Einverständniserklärung, die als Oberbegriff „Zulässigkeit“ vorhanden ist und zusätzlich in einem Unterkapitel des Factoring-Artikels am Rande erklärt wird. Mit Außenständen und Altforderungen, Deutscher Factoring-Verband und Offenem sowie Stillem Verfahren sind jedoch bislang vier Begriffe offen.

Näherung an den Begriff „Verrechnungsstelle“ via Wikipedia

Ebenso offen ist aber auch der Begriff der „Verrechnungsstelle“, der einen wesentlichen Bestandteil unseres Namens StBVS Steuerberater Verrechnungsstelle ausmacht. Aus unserer Sicht ist das eine Lücke, denn Verrechnungsstellen sind branchenübergreifend etabliert und werden oft genug noch auf einen Teilbereich ihres umfangreichen Service reduziert, meist sind das Factoring oder Inkasso. Wer bewusst sucht, kann allerdings fündig werden.
Dank der Funktion, auch innerhalb von Texten zu suchen, werden aktuell insgesamt 62 Artikel angezeigt. Darunter sind beispielsweise die Begriffserklärungen TVH (Tierärztliche Verrechnungsstelle Heide) und VSA (Verrechnungsstelle der Süddeutschen Apotheker), die isländische Sparisjóðabanki Íslands, die als Verrechnungsstelle für die selbständigen Sparkassen des Landes dient, und Johann Christian Eberle, der die Gründung von Girozentralen als zentrale Verrechnungsstelle in jedem Land Preußens vorgeschlagen hatte.
Die Girozentrale ist tatsächlich eine gute erste Anlaufstelle, um sich dem Thema zu nähern: „Der Begriff Girozentrale rührt historisch von dem ursprünglich alleinigen Charakter dieser Kreditinstitute als Verrechnungsstellen im bargeldlosen Zahlungsverkehr der Sparkassen her. Das Wort setzt sich zusammen aus „Giro“ (ital. für „Kreis“, „Kreislauf“) und Zentrale für eine übergeordnete Institution mit Bündelungsaufgaben.“ Damit werden zwei Dinge deutlich: Verrechnungsstellen verfügen über eine lange Tradition und sie sind ein Dienstleister mit einem Bündel an Aufgaben.

Präzisere Darstellung bei Ärzten

Etwas näher an die Praxis kommen einzelne Abschnitte im Artikel über Privatärztliche Verrechnungsstellen. Dort heißt es beispielsweise, dass diese „die Rechnungserstellung für Behandlungen von [Patienten] im Rahmen der Selbstzahlerleistungen nach der Gebührenordnung für [Ärzte bzw. Zahnärzte]“ vornehmen. Allerdings gibt es regionale Unterschiede, denn nur ein Teil der Anbieter soll auch den Schutz vor Zahlungsausfall anbieten.
Detaillierter wird der Artikel Privatliquidation im Unterabschnitt „Abrechnung“:

„Ärzte und Zahnärzte dürfen […] die Rechnungstellung mit Zustimmung des Patienten durch Dritte vornehmen zu lassen. […] Der Arzt leitet die abrechnungsrelevanten Daten an die Verrechnungsstelle weiter, welche dem Arzt die Honorarforderung gegen den Patienten abkauft (echtes Factoring). Der Arzt erhält dafür 80 bis 90 % seiner Forderung von der Verrechnungsstelle. Diese übernimmt das weitere Forderungsmanagement und ist fortan berechtigt, die von dem Arzt erbrachten Leistungen im eigenen Namen bei dem Patienten geltend zu machen und gegebenenfalls per Inkasso einzutreiben.“

Einen anderen Aspekt, und zwar die Zulässigkeit der Abtretung, ergänzt der Artikel über die Private Krankenversicherung: „Die Abrechnung über eine Verrechnungsstelle ist aufgrund des Gebots der ärztlichen Schweigepflicht nur mit Zustimmung des Patienten zulässig.“ Bei Steuerberatern ist dies nicht nötig, sofern die die Rechnung an einen Anwalt oder eine Anwaltsgesellschaft abgetreten wird. Gleichwohl empfehlen wir die transparente Information der Mandanten.

Verrechnungsstelle: mögliche Inhalte für einen Wikipedia-Artikel

Für ausreichend halten wir die Darstellung einer Verrechnungsstelle auf Wikipedia damit jedoch nicht – die Informationen sind auf zu viele Artikel verteilt und zu wenig Aspekte wurden erläutert. Schon aus den deutlichen Unterschiede zwischen offenem und stillen Verfahren ergeben sich einige interessante Fragen für einen Wikipedia-Beitrag:

  • Für welches Verfahren ist die Einwilligung des „Kunden“ notwendig, für welches nicht?
  • Für welche Berufsgruppe ist welches Verfahren erlaubt – oder zu empfehlen?
  • Wie wird das stille Verfahren organisatorisch umgesetzt, bei dem die Verrechnungsstelle als Dienstleister im Hintergrund agiert?
  • Welche Vorteile bringt das offene Verfahren mit sich?

Auch kann der Satz „Diese übernimmt das weitere Forderungsmanagement“ aus dem Artikel „Privatliquidation“ inhaltlich mit Leben gefüllt werden. Die Aspekte Factoring und Inkasso werden zwar angerissen, ebenso der Ausfallschutz bei den Privatärztlichen Verrechnungsstellen, sind aber noch ziemlich knapp. Logisch ergibt sich aus Inkasso auch das Thema Honorarklage, aber explizit wurde es nicht erwähnt.
Weitere, noch offene Aspekte sind außerdem das Drucken und Versenden von Rechnungen, die Überwachung von Zahlungseingängen und gegebenenfalls individuelle Zahlungsvereinbarungen mit den Mandanten (d.h. Stundungen oder Ratenzahlungen). In der Summe ist eine Verrechnungsstelle schließlich das ausgelagerte Honorarmanagement eines Steuerberaters.
Wir sind gespannt, ob bzw. wann sich einer der rund 21.100 aktiven Wikipedia-Nutzer aufmacht, den Artikel zu schreiben.